Ich sitze in einem Café, die heisse Tasse mit der braunen Brühe steht dampfend vor mir auf dem Tisch. Draussen hasten Menschen in dicken Jacken vorbei. Doch irgendwie erscheinen sie mir unecht. Wie Statisten, die nur so tun, als müssten sie die Strasse, die ich von meinem Sitzplatz aus sehe, überqueren. Ab und zu läuft eine Nebenrolle vorbei, die vielleicht zu einem Teil meines Lebens wird. Doch diese Nebenrollen wechseln schnell. Ich bin der einzige Hauptdarsteller dieses Stücks, genannt "mein Leben".
Es gibt Rollen, die häufiger auftreten als andere, sie spielen vielleicht ein bisschen öfter, und es lassen sich auch Zusammenhänge zu früheren Akten erkennen. Aber ob sie auch noch in der nächsten Szene spielen werden, ist ungewiss. Ich bin nur Schauspieler, nicht der Regisseur.
Vielleicht ist es der sogenannte freie Wille, der mich im Glauben lässt, dass ich entscheide, wann und wo ich drehen will. Vielleicht ist es auch eine höhere Macht, die mich beeinflusst und deren Marionette - ich bevorzuge aber das Wort "Schauspieler" - ich bin. Ist alles vorbestimmt, und ich mache nur das, was ich machen muss?
Allerdings wäre so ein Stück, in dem schon alles von Anfang an festgelegt ist, nicht sehr spannend. Theater entwickelt sich doch gerade aus dem Spontanen, dem Improvisierten. Genauso wie das Leben. Was wäre das Leben, wenn man schon alles im Voraus wüsste?
Ich habe keine Texte zum Ausswendiglernen, ich weiss nicht, wann mein Stichwort kommt, und oft verpasse ich es. Und doch schafft es der Regisseur immer wieder, Spannung in das Stück zu bringen, - ich bin sicher, die Zuschauer würden niemals gähnen. Ob es aber überhaupt Zuschauer gibt, weiss ich nicht. Andere, mir nahe stehende Menschen vielleicht, aber das sie selber mitten in einem Stück stehen, haben sie wohl keine Zeit und keine Augen für mein Stück.
Meine Rolle verändert sich immer wieder, und zwar sehr schnell, von Drehort zu Drehort, von Nebendarsteller zu Nebendarsteller. Und doch fühle ich mich eigentlich wohl in meiner Rolle. Sie lässt mir viele Freiheiten, und ich kann selber bestimmern, welche ich davon nutze. Ich habe keine Zeit, alles hundertmal einzuüben, bis es perfekt aussieht. Ich habe keine Souffleuse, die mir hilft, wenn ich meinen Text vergessen habe. Nein, bei mir muss es beim ersten Mal klappen, ich habe nur diesen einen Versuch.
Ich weiss, ich bin kein perfekter Schauspieler, mir sind schon etliche Fehler passiert, doch vielleicht steht es ja so im Drehbuch? Der ganze Zusammenhang, die Verknüpfung der einzelnen Szenen und Akte, der Motive und der Thematik- das alles ist mir noch unklar. Ich bin gespannt, wann ich es endlich verstehen werde. Und doch stört es mich keineswegs, dass ich meine Rolle ohne das Wissen um das "Warum?" spiele. Schliesslich bleibt es so auch für mich spannender.
Natürlich male ich mir auch Träume auf, doch nur wenige bewahrheiten sich. Vielleicht habe ich zu viel Fantasie. Oder zu wenig. manchmal fühle ich mich in meiner Rolle auch wie in einem Käfig. Der Zuschauer, die Nebendarsteller, der Regisseur wahrscheinlich auch, alle erwarten etwas von mir. Und nicht immer bin ich dazu bereit, diese Erwartungen zu erfüllen. Aber wenn ich dann auf die Welt blicke und mir vorstelle, was für Möglichkeiten ich eigentlich habe, fühle ich mich schon freier, wenn auch mehr auf mich allein gestellt.
Ob ich einen Oscar für mein Lebensstück erhalten würde, bezweifle ich. Es ist ein Leben unter vielen, es gibt spannendere, fröhlichere und verzweifeltere. Mir reicht es aber, wenn ich a Ende auf mein Leben zurückblicken und sagen kann, doch das war ein gutes Stück. Und dann fällt der Vorhang.
(Eva Hirschi - Zeitschrift tango)
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